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Essay

Ich erinnere mich der Besuche in der Uni - Bibliothek, der nächtlichen Recherchen im Internet, der unzähligen Stunden am Schreibtisch, der Bilder, die sich allmählich ins Gedächtnis brannten, der tausend Fragen, die sich mir stellten, der Widersprüche, die sich auftun, jetzt noch, wo sich bis zum heutigen Datum - 450 nachdem William Shakespeares getauft wurde, immer neue Zusammenhänge ergeben, neue Bücher auf den Markt drängen, Vermutungen, Ahnungen und wilde Spekulationen. Mir fällt das Zitat eines Schauspielers ein: „Wenn du glaubst, dich Shakespeare nähern zu können, dann irrst du dich, das kannst du gleich vergessen“. Das ist beruhigend, holt es einen doch aus dem bangen Gefühl haltlosen Spekulierens heraus, welches wohl jeden befällt, der in historisch Überliefertem gräbt und daraus bühnenwirksam Zeitgültiges zu kreieren sucht. Ein tollkühner Sprung beinahe ein halbes Jahrtausend zurück.

Entstanden ist ein dokumentarischer Exkurs, der, so die Absicht, auch beim Hörer Bilder weckt, sinnliche Momente schafft und ein wenig fühlbar macht, wie es gewesen sein könnte, die Zeit der Chamberlains Men, die große Epoche des Londoner Theaterlebens, des Globe –Theaters, die Zeit Shakespeares und der Elisabethanischen Glanzherrschaft, einhergehend mit den blutigen Unruhen tobender Religionskämpfe – und der allgegenwärtigen Pest, die Tausende hinraffte, aufgrund dessen wir zwar Shakespeares Taufdatum wissen, umso weniger aber den Tag seiner Geburt. Denn wenn 1564 auch viele Kinder starben, so doch nicht, ohne die heiligen Sakramente empfangen zu haben, die Säuglingssterblichkeit lag bei weit über 60 Prozent.….

Rückblende. Sommer 2013: Bei unserem ersten Gespräch, nach einer Theateraufführung, fragt Bernhard Gies, was ich als Nächstes plane. Ich erzähle ihm von meinem Shakespeare-Projekt und dass ich beabsichtige, die Premiere auf den 26. April 2014 zu datieren. Kurzerhand reserviert er den Abend für den Förderverein Schloss Malberg.

In den folgenden Monaten arbeite ich fieberhaft, der Terminkalender 2014 füllt sich, das Interesse der Veranstalter ist überraschend groß. Ein Jahr der Vorbereitung ist nicht viel für einen Theaterabend über einen Mann von solch gigantischer Dimension. William Shakespeare, Unternehmer, Schauspieler, Dichter, Theaterautor - umso tiefer ich die Stücke durchforste, Zeitgenossen lese, Biografen bemühe, desto mehr wird mir klar: Über den Menschen selbst wissen wir bis heute so gut wie nichts. Begreifen können wir ihn nur über seine Werke. Und ich denke an die Begegnung mit Shakespeares Werk während meiner ersten Theaterproduktionen auf der Opernbühne: Welchen Charakter man auch beleuchtete, man verstand die Bösewichter ebenso wie die Helden, den Täter wie den Leidenden.

Kenneth Branagh, Regisseur zahlreicher Shakespeareverfilmungen und Ehrenpräsident der deutschen Shakespearegesellschaft: „Wir streiten noch heute über dieselben Dinge wie die Menschen um 1590… Shakespeare ist auf umfassende Weise – WIR.“ Eine Kernaussage, die belegt, wie zeitlos und hochbrisant Shakespeares Werk ist, ja es ist wie eine fotografische Linse der Gesellschaft, wertfreier Spiegel und „Zeitung“ des spätmittelalterlichen Englands. Gleichermaßen lässt er uns auf unterhaltende Weise hineinschauen in menschliche Abgründe, Seelenverstecke, „Wagestücke hohen Flugs“, Ein großes Amüsiertheater mit ernstem Hintergrund.
Ben Johnson, ein Zeitgenosse und, man darf sagen, einer seiner Konkurrenten, meinte, Shakespeare schriebe nicht für eine Zeit, sondern für die Ewigkeit.
Und Alexandre Dumas lässt sich zu der atemberaubenden Aussage hinreißen, dass Shakespeare `nach Gott das meiste erschaffen habe..`.

Januar 2014. Das Telefon klingelt: “Ja bitte?" Unser Veranstalter ...
"Wie steht`s, was macht der Shakespeare?“
„Ich arbeite dran…“
„Was wird das eigentlich? Kannst Du mir schon mal einen Programmablauf schicken?.“ Er will eine Vorankündigung starten. Ich – selbst noch auf der Suche - spüre seine Unsicherheit, die Sorge, was wohl sein Publikum zu erwarten hat.
„Es gibt keinen Programmablauf. Es ist eine Collage aus Werkzitaten, erzählender Betrachtung und Musik in 20 kleinen Szenen, mehr weiß ich noch nicht.“
Mir fällt es schwer, zu erklären, was da entsteht. Aber er hat Recht, das Kind braucht einen Namen.
Wenn man schreibt, etwas ins Leben ruft, was vorher nicht da war, so kommen neben den dramaturgischen Ideen auch Verwerfungen, unzählige Streichungen ins Spiel. Und doch, ein unbändiger Drang, die gärenden Gedanken in eine semantisch verdaubare, unterhaltsame Form zu bringen, Die Lust am Schreiben ist es, von ihr, einmal infiziert, wird man gesteuert und ruht nicht eher, als bis der Text geboren ist, brauchbar, bühnenreif.
Eine lustige Erkenntnis: Auch eigene Texte muss man auswendig lernen, wenn man sie spielen will…

26. April 2014. Noch dreißig Minuten bis zur Premiere, die Feuertaufe meines Kammerstücks.
Das sanfte Licht der Abenddämmerung dringt durch die Fensterscheiben, Die goldenen Ornamente der seidenen Tapete sind in warmes Licht getaucht. Leises Raunen der Gäste erfüllt den Raum. Es ist ein besonderes Datum, dieser 26. April 2014. Kein Zweifel, jetzt, zu dieser Stunde wird er in der ganzen Welt gefeiert. Shakespeare „gehört“ längst nicht mehr nur den Engländern.
Wir haben intensiv geprobt, Musik ausgewählt, u.a. von Dowland, den Shakespeare sehr verehrte. Für das Projekt konnte die exzellente Cellistin Angela Simons gewonnen werden. Ihr Spiel fügt sich musikalisch, elegant und virtuos in das Wortgewebe ein und kommentiert die Shakespeare`schen Texte aus „Kaufmann von Venedig“, "Sommernachtstraum“, „Macbeth“, „Romeo und Julia“, „Hamlet“ und „Wie es euch gefällt“ auf kongeniale Weise.

Das schöne Ambiente, das der Salon im Erdgeschoss des ehrwürdigen Schlosses bietet, die einzigartige Atmosphäre sind wie geschaffen für eine historische Zeitreise.
Ein letztes Anspiel, das Violoncello ist bereit, noch einmal über den samtenen Mantel gestrichen, ein verstohlener Blick durch den Spalt der Tür in den Zuschauerraum. Auch die Leute sind bereit, sie sitzen erwartungsvoll, heiteres Gemurmel, dann Stille.

Die Aufführung läuft reibungslos. Die Szenenwechsel gelingen, die Aufmerksamkeit in den Gesichtern wächst, gespanntes Zuhören, staunende Gesichter. Es gibt wohl kaum ein größeres Glück für den Interpreten, als wenn er sein Publikum zu fesseln vermag.
Am Ende begeisterter Applaus und strahlende Gesichter, .Noch lange danach bewegte Gespräche bei einem guten Glase Wein. Eine neue Form des Theaterstücks hat sich gebildet, und mir fällt Hesse ein : „... und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne...“

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